Die Null Energie Euphorie
Lesezeit: ca. 20 MinutenDie Null Energie Euphorie Oder: Effizient verschwenderisch mit Null EnergieTimo Leukefeld baut Wohngebäude, die sich nicht nur mit Strom und Wärme aus der Sonne selbst versorgen. Sie brauchen kaum noch Technik. Ein Haus-Besuch.
Professor Timo Leukefeld begrüßt uns.
Er ist Professor für Solarthermie und betreibt ein Ingenieurbüro für energieautarke Häuser, die Bundesregierung hat ihn zum Energiebotschafter ernannt. Zum Energiesparen aber hat Timo Leukefeld keine Lust mehr. „Ich will im Winter die Heizung auf 23 Grad drehen und nicht bei 19 Grad frieren“, sagt der Forscher und grinst. „Ich will LED-Lichter brennen lassen und lustvoll Autofahren – und zwar elektrisch.“ Leukefeld hat sich entschieden, keiner Ideologie des Verzichts mehr zu folgen, sondern Häuser zu bauen, in denen Menschen so sein können, wie sie wollen. „Lieber intelligent verschwenden“, sagt er, „als blöd sparen.“
Der Mann mit den schulterlangen Haaren ist ein Vordenker der Energieversorgung, manche sagen: ein Querdenker. Doch sicher ist, er weiß was er tut: Der 51-Jährige ist Honorarprofessor an der TU Bergakademie Freiberg bei Dresden und an der Berufsakademie Glauchau. Er hält, so sagt er, die einzigen Vorlesungen über vernetzte energieautarke Gebäude in Deutschland. Zum 90-jährigen Jubiläum der Julius Gaiser GmbH & Co. KG hielt er die Keynote zur Frage: „Wie werden wir in Zukunft leben?“ Und er setzt sich nicht nur akademisch für Häuser ein, die von der Kraft der Sonne leben. Er hat bereits einige gebaut.
Das Haus betankt das Auto
Das Haus betankt das Auto
An einem sonnigen Nachmittag steht Timo Leukefeld in einer Eigenheimsiedlung in Freiberg und weist auf die Solarpanelen auf seinen zwei baugleichen Einfamilienhäusern: 46 Quadratmeter Solarthermie-Kollektoren, 56 Quadratmeter Photovoltaik. Unter den nach Süden ausgerichteten Dächern lebt er seit 2013 mit seiner Familie und nutzt sie als Sitz seiner Fünf-Mann-Firma. Die Solarmodule über den schwarzen Ziegeln haben sein Haus weitgehend unabhängig gemacht von der öffentlichen Energieversorgung und betanken nebenbei ein Elektroauto, Typ Renault Zoe.„Wir erzeugen 99,6 Prozent unseres Strombedarfs und 70 Prozent des Wärmebedarfs für Heizung und Wasser mit der Sonne“, sagt der Diplom-Ingenieur. „Den Rest im Winter schaffen wir mit einem kleinen Holzofen.“
Mit den wissenschaftlich jahrelang vermessenen Häusern hat der Energierebell den Beweis angetreten, dass autarke Häuser mit Öko-Energien technologisch möglich. Sie erfüllen den höchsten Standard des Sonnenhaus-Instituts, dessen Vorstandsmitglied er ist. Bei ihrer Fertigstellung 2013 galten sie als die ersten energieautarken Gebäude Deutschlands. Auch wenn die Häuser an die öffentlichen Energienetze angeschlossen sind, bekommt Leukefeld unter dem Strich deutlich mehr Vergütung für die Stromeinspeisung als am Jahresende auf seiner Rechnung steht. Heute allerdings würde er eine abgespeckte Variante seiner Häuser bauen – mit einem Autarkiegrad von nur 80 Prozent„Die restlichen 20 Prozent sind die teuersten“, sagt er. „Im Winter hat man den größten Strom- und Wärmebedarf, aber die geringste Sonneneinstrahlung.“
Neben der Haustür seines Firmensitzes steht eine große graue Kunststoffbox, darin lagern hüfthoch zwei Reihen Blei-Gel-Batterien, die den Strom aus den Solarpanels für mehrere Wochen speichern. Stolze Speicherleistung: 58 Kilowattstunden. Üblich für solche Haushalte sind sechs bis zehn. Leukefeld würde gern seine Nachbarn mitversorgen.„Aber die Gesetze erlauben es nicht“, sagt er. Am Zaun im Garten stapeln sich auf mehr als 20 Metern Holzscheite für den Brennofen – ein Vorrat, der für beide Häuser drei Jahre reicht. Der Kamin im Wohnzimmer zaubert ein gemütliches Feuer, ist aber an das Heizungssystem angeschlossen.
Im Technikraum neben dem Hauseingang ragt eine sechs Meter hohe Säule bis unters Dach: ein 9000 Liter Warmwassertank mit Stahlmantel und 20 Zentimeter dicker, mineralischer Wärmedämmung. Leukefeld nennt sie seine „Thermoskanne“.
Der Langzeitwärmespeicher hält die Temperatur des bis zu 100 Grad heißen Wassers aus der Solarthermie wochenlang. Wichtig für das Erfolgskonzept sind zudem die Außenmauern. 43 Zentimeter dicke Ziegelwände dämmen die Häuser wie eine alte Kirche. Im Fußboden des Hauses liegen Heizungsrohre, die auch kühlen können. Eine kleine Umwälzpumpe drückt Wasser in einem Kreislauf 50 Meter tief unter die Erde und wieder zurück. Überall an den technischen Anlagen sind Sensoren zu sehen: auf dem Solardach, an der Heizung, an den Leitungen. 190 Messgeräte hat die TU Freiberg installiert, um den Selbstversuch wissenschaftlich zu begleiten.„Die Autarkiequoten bei Strom und Wärme waren besser, was wir es simuliert hatten“, sagt Leukefeld.
Abschied von der alten Technik
Abschied von der alten Technik
Wie aber kommt ein Mann dazu, die Energiewelt auf den Kopf zu stellen? Das Enfant terrible wächst zu DDR-Zeiten im Erzgebirge auf. Die Mutter ist Revierförsterin, der Vater Bauingenieur und Jäger. „Die Idee der Nachhaltigkeit hab‘ ich mit der Muttermilch aufgesogen“, sagt er. Nach der Schule lernt er Schlosser und Heizungsbauer, dann absolviert er ein Maschinenbaustudium. Sein Geld verdient der Student von Anfang an mit seiner ersten Firma: Er hilft Hauseigentümern dabei, kostengünstige Solaranlagen zu installieren. Mit Einfamilienhäusern hat Leukefeld inzwischen allerdings abgeschlossen. Stattdessen widmet er sich Mehrfamilienhäusern im Selbstversorger-Modus. 2018 hat er in Cottbus mit der Wohnungsgenossenschaft „eG Wohnen 1902“ die ersten vernetzten energieautarken Gebäude mit je sieben Wohnungen gebaut. Die Solaranlagen auf dem Dach und an den Balkonen sorgen für 65 bis 77 Prozent des Stroms und der Wärme. Dafür bietet der Vermieter fünf Jahre eine Pauschalmiete samt Energie-Flatrate für 10,50 Euro pro Quadratmeter an. Wärme und Strom inklusive. Für das Konzept wurde Leukefeld mit dem Deutschen Solarpreis 2018 ausgezeichnet.
„Stromzähler, Wärmezähler, Abrechnungen: all das ist nicht mehr nötig“, sagt er.
Ein ähnliches Leuchtturmprojekt wurde 2019 von der Genossenschaft „Spar und Bau“ in Wilhelmshaven eröffnet. In Bamberg wird ein Büroneubau eines Energieversorgers gebaut, in Köln die Zentrale einer Lichttechnikfirma – ein grünes Marketingargument. Und das Geschäftsfeld kommt erst richtig in Gang. „Wir planen aktuell mehr als 300 Wohnungen und fünf Gewerbeobjekte“, sagt Leukefeld. Unter anderem in Lübben im Spreewald, in Gelsenkirchen und Düsseldorf. In Aschersleben ist zudem die erste leukefeldsche Sanierung eines DDR-Plattenbaus samt Sonnensegel geplant.
Der sogenannte „Energiepapst“ ist indessen nicht der einzige, der sich auf den Weg gemacht hat: Im Frühling 2019 hat das Dresdner Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme am Bergheider See in der Lausitz ein schwimmendes Vier-Personen-Haus mit weitgehend eigener Strom-, Wärme- und Wasserversorgung konstruiert. Das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik in Kaiserslautern ist an einer energieautarken, schwimmenden Siedlung in Amsterdam beteiligt. Doch das Energiepaket aus Freiberg bereitet längst die nächste Revolution vor: Ihn treibt die Vision von CO2-freien autarken Neubauten, die erlöst sind von Strom- und Wärmezählern, Sensoren und Steuerungs-Apps. Kern der Idee: Infrarotheizungen, die mit Strom aus Solarzellen gespeist werden. Leukefeld: „Wir planen schon die Häuser, die die Bundesregierung erst 2050 auf der Agenda hat.“
Autarke Häuser ohne Heizung
Autarke Häuser ohne Heizung
Dank der stark vereinfachten, soliden Technologien seien Infrarotheizflächen wenig wartungsanfällig und deutlich preisgünstiger. Während eine wassergeführte Heizungsanlage im neuen Einfamilienhaus durchschnittlich 35.000 Euro verschlinge, koste eine komplette Ausstattung mit Infrarotheizungen nur 6.000 bis 9.000 Euro – und wärmt viele Jahre wartungsfrei. Boiler und Durchlauferhitzer in Bad und Küche seien da schon eingerechnet. „Technik vom Keller bis zum Dach ist unser Taktgeber geworden, und ein teurer dazu“, sagt Leukefeld. „Wollen wir das wirklich?“
Leukefelds Vision
Sein Zukunftsszenario wird bereits Wirklichkeit: Die Lübbener Wohnungsbaugesellschaft errichtet derzeit im Spreewald die ersten enttechnisierten und energieautarken Mehrfamilienhäuser Deutschlands. Auch in Unna und Magdeburg werden solche Konzepte umgesetzt. Dabei geht der Visionär davon aus, dass hauseigene Stromerzeugung mit Solarpanels dank effizienter Gigafabriken in zehn Jahren nur noch einen Cent pro Kilowattstunde kosten wird, konventioneller Strom aus dem Netz dagegen 40 Cent.Leukefeld: „Willkommen im Zeitalter des Überflusses!“
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Die Null Energie Euphorie Oder: Effizient verschwenderisch mit Null Energie
Professor Timo Leukefeld begrüßt uns.
„Ich will LED-Lichter brennen lassen und lustvoll Autofahren – und zwar elektrisch.“
Das Haus betankt das Auto
„Wir erzeugen 99,6 Prozent unseres Strombedarfs und 70 Prozent des Wärmebedarfs für Heizung und Wasser mit der Sonne“, sagt der Diplom-Ingenieur. „Den Rest im Winter schaffen wir mit einem kleinen Holzofen.“
„Die restlichen 20 Prozent sind die teuersten“, sagt er. „Im Winter hat man den größten Strom- und Wärmebedarf, aber die geringste Sonneneinstrahlung.“
„Aber die Gesetze erlauben es nicht“, sagt er.
Leukefeld nennt sie seine „Thermoskanne“.
„Die Autarkiequoten bei Strom und Wärme waren besser, was wir es simuliert hatten“, sagt Leukefeld.
Abschied von der alten Technik
„Stromzähler, Wärmezähler, Abrechnungen: all das ist nicht mehr nötig“, sagt er.
„Wir planen aktuell mehr als 300 Wohnungen und fünf Gewerbeobjekte“, sagt Leukefeld.
Leukefeld: „Wir planen schon die Häuser, die die Bundesregierung erst 2050 auf der Agenda hat.“
Autarke Häuser ohne Heizung
„Technik vom Keller bis zum Dach ist unser Taktgeber geworden, und ein teurer dazu“, sagt Leukefeld. „Wollen wir das wirklich?“
Leukefelds Vision
Leukefeld: „Willkommen im Zeitalter des Überflusses!“
